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Die Toten kommen


Wir verlieren jeden Tag hunderte Einwanderer an unseren Grenzen. Europas Grenzen sind militärisch abgeriegelt. Sie sind die tödlichsten Grenzen der Welt. Jahr für Jahr sterben Tausende Menschen beim Versuch, sie zu überwinden. Die Opfer der Abschottung werden massenhaft im Hinterland südeuropäischer Staaten verscharrt. Sie tragen keine Namen. Ihre Angehörigen werden nicht ermittelt. Niemand schenkt ihnen Blumen.


Das Zentrum für Politische Schönheit hat die Toten Einwanderer Europas von den EU-Außengrenzen in die Schaltzentrale des europäischen Abwehrregimes geholt: in die deutsche Hauptstadt. Menschen, die auf dem Weg in ein neues Leben an den Außengrenzen der Europäischen Union ertrunken oder verdurstet sind, haben es über den Tod hinaus ans Ziel ihrer Träume geschafft. Gemeinsam mit den Angehörigen haben wir menschenunwürdige Grabstätten geöffnet, die Toten identifiziert, exhumiert und nach Deutschland überführt.

So geht Europa mit den Toten um!


Am 30. Mai 2015 verkünden die Medien die Bergung von 17 Toten (z.B. hier, hier, hier). Diesmal haben wir uns vorbereitet, um der europäischen Öffentlichkeit zu zeigen, was mit diesen Toten geschieht. Zunächst werden sie am Hafen noch in Särgen für die Fotos ausgestellt, dann in Müllsäcke gepackt und in eine Kühlkammer im Krankenhaus von Augusta übereinander geworfen. Gegen jede Form des Anstands. Es sind Bilder, die Sie nie sehen sollten. Die schwarze Lache am Boden ist das ausgetretene Blut von 17 Menschen. Wir veröffentlichen hier nicht den Blick in die Kühlkammer. Der Geschichte hinter den Bildern ist die taz nachgegangen. Und hier gibt es Antworten auf Fragen, die wir während der Recherchen wieder und wieder gestellt haben.

Probe 3   22. Januar 2015, Catania, Italien: Auf Sizilien werden 13 Leichen von Vermissten, darunter zwei Kinder, in einer Lagerhalle entdeckt und abtransportiert. Die Toten lagen dort aufgrund von „bürokratischen Hürden“ einfach 8 Monate rum.

Probe 4   Bürgermeisterinnen und Bürgermeister Italiens ersuchen verzweifelt die Hilfe der großen Politik (hier, hier). Am Evros werden alle Toten muslimisch bestattet (hier), in Italien werden sie christlich beerdigt (hier). Die Eritreische Gemeinde beschwerte sich bereits 2013 über die Bestattungspraktiken. Nichts geschah.

Keiner soll sie sehen


Stichprobe 2   Sidiro, Griechenland: im August 2010 entdecken deutsche Aktivisten ein Massengrab mit über 200 Leichen. Frauen, Kinder und Männer, die beim Übertritt der (damals von deutschen Polizisten) schwer bewachten türkisch-griechischen Grenze ertrunken sind. Obwohl der Auftrag der Bezirksregierung eine Waschung und Beerdigung der Verstorbenen nach muslimischen Gebräuchen vorsah, verscharrt der Beerdigungsunternehmer die Leichname entlang eines schwer zugänglichen Sandweges im Hinterland – wo sie bis heute liegen. Der Wegesrand wird später von den Behörden kurzerhand zum Friedhofsfeld umdeklariert.

"Für Heiner Müller bestand die wichtigste Aufgabe des Theaters darin, die Toten auszugraben, 'wieder und wieder.' Das Theater war für den Dramatiker ein Ort der Totenbeschwörung: Hier können die Lebenden den Toten begegnen, statt sie zu verdrängen und mit ihnen das, was ihnen angetan wurde."

Süddeutsche Zeitung

„Was sagt es aus, dass bei uns in Europa die Leichen jener, die hierherkamen, verscharrt werden wie Dreck? Das Wegsehen fällt in Deutschland besonders leicht. Hier gibt es das Problem Flüchtlingsleiche nicht. Diese Leerstelle nutzt das Zentrum für Politische Schönheit erneut für eine spektakuläre Aktion. Die gewonnene Aufmerksamkeit heiligt die Mittel. Zynisch ist nicht dieses Projekt. Zynisch ist eine Gesellschaft, die buchstäblich über Leichen stolpern muss, um hoffentlich wahrzunehmen, dass die Flüchtlinge keine statistische Größe sind, sondern Menschen, die ein Recht auf unsere Unterstützung haben.“

taz

So könnte Europa mit den Opfern der militärischen Abschottung umgehen

Gedenkstätte: Den unbekannten Einwanderern


In Italien und Griechenland stehen aufgrund der Vielzahl der Opfer des Europäischen Abwehrkrieges keine ausreichenden Bestattungsplätze zur Verfügung. Wir wollten vor dem Kanzleramt die Grundsteine des Vorplatzes für ein Friedhofsfeld der Superlative aufstemmen: eine Gedenkstätte für die Opfer der militärischen Abriegelung Europas unter dem titelgebenden Bogen „Den unbekannten Einwanderern“.

Die entschlossene Zivilgesellschaft machte sich unmittelbar nach der Ankündigung des Friedhofs an dessen Umsetzung. Entschlossene rissen die Zäune zur Bundestagswiese ein und hoben spontan hunderte Gräber in der Hauptstadt aus.

Die geplante Gedenkstätte für die Opfer der militärischen Abriegelung Europas vor dem Bundeskanzleramt: „Den unbekannten Einwanderern“. Kanzlerin, Kabinett und Besucher gehen zukünftig über Leichen.

Gegen alle Regeln der Wahrscheinlichkeit haben wir eine Mutter, die bei ihrer Einwanderung nach Europa durch unsere Untätigkeit ertrunken ist und von den Behörden als „unbekannt“ auf Sizilien verscharrt wurde, zu ihren Liebsten nach Deutschland überführt. Ihr zweijähriges Kind durften wir nicht mitbeerdigen. Dafür haben wir einen sechzigjährigen Einwanderer, der auf der Höllentortur des Mittelmeers kollabiert ist – und dessen toter Körper von den Behörden zehn Wochen beschlagnahmt wurde (um von seinen Angehörigen ein Geständnis gegen den Fluchthelfer wegen „Schlepperei“ zu erpressen) – aus den Fängen der Bürokratie herausgelöst. Wir haben den gescheiterten Einwanderern die Würde zurückgegeben, die ihnen gebührt. Aber es geht nicht nur um die Rettung der Würde der Einwanderer.

Zur Beerdigung waren auch Politiker geladen. Regierungsverantwortliche, Staatsekretäre und Ministerialbeamte des BMI standen auf der Gästeliste. Die Sitzordnung war genau festgelegt: Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit Frau und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Ehemann in der ersten Reihe, die Grabreden vorbereitet.

„Jeder an der Mauer Europas Ermordete ist ein für uns alle verlorener Mensch zuviel. Nachdem die Politik diesen Menschen zur Statistik gemacht hat, habt ihr aus dieser Zahl wieder einen Menschen gemacht. Danke.“

Swen Gerards


„Das ist die provokativste und menschlichste Aktion, die ich bisher gesehen habe. Herzlichen Dank.“

Wafaa Dallal


„Ein Kniefall vor dem Leben.“

Barbara Rohst


„Damit dieses Europa endlich vor sich selbst erschrickt!“

Lella Göödeli


„Diese Menschen flüchten nicht aus Lust und Laune. Sie suchen das Leben. Ihnen wurde das Leben verweigert. Ich appelliere an alle Politiker: das sind Menschen, die unsere Hilfe gebraucht haben und jetzt unsere Hilfe brauchen. Wir müssen es verhindern. Wir werden auch versinken. Sie ist versunken ins Meer. Aber wir versinken in Ungerechtigkeit, in Kriege, in Hass, in Rassismus und Diskriminierung. Wie können wir uns alle gemeinsam retten.“

Imam Abdallah Hajjir


„Ich komme gerade von der Beerdigung auf dem Friedhof in Gatow. Seit 40 Jahren mach ich jetzt politisches Theater, bin gerade 70 geworden - und jetzt denk ich wie die Geschlagenen im Bauernkrieg: Unsre Enkel fechtens besser aus.“

Helma F.


„Die Frage ist letztlich, in welchem Maß wir Europäer bereit sind, unserer Verantwortung gerecht zu werden und diese Welt als eine Welt zu sehen.“

Ingo Schulze (Schriftsteller)


„Wenn man überhaupt durch solche Aktionen das gesellschaftliche Klima verändern kann, dann durch diese. Entschlossen, gewaltfrei und sehr eindrucksvoll.“

Mark Engel


„Diese Arbeit zählt, meines Erachtens, zu den stärksten Ausdrucksformen politischen Theaters in den vergangenen Jahren, obgleich der Anlass - der Tod von vielen tausend Menschen an den Grenzen Europas – unglaublich traurig ist.“

Ralph Fischer


„Ich bin zutiefst bewegt, dass ihr versucht den Toten ein Stück Würde zurückzugeben.“

Stefan Löwenthal


„Das nicht Erwartbare ist ein ehrenhaftes Begräbnis für die Opfer unseres Leugnens unserer Verantwortlichkeit – und der Widerstand ist die Anständigkeit.“

DSS


„Ihr lotet die Grenzen des Machbaren zwar ganz schön aus und ich kann nur für mich selbst sprechen, aber dies ist wahrlich eine großartige Aktion.“

Constantin Huber


„Für sehr viele wäre es natürlich schön bequem, wenn die Toten weiterhin weit weg sind.“

Katrin Wohlgemuth


„Ausgerechnet diejenigen, die die Verantwortung dafür tragen, dass die Toten irgendwo namenlos verscharrt werden, nennen eure Aktion pietätlos!“

Hunter Thompson


„Ich war gerade in Berlin und habe mich sofort angesprochen gefühlt. Es war ein sehr würdiges Begräbnis – der Skandal ist, dass es überhaupt stattfinden musste.“

Viktoria von Schirach

"Bei allem Respekt vor humanitärem Engagement: Mit solchen Aktionen werden Grenzen der Pietät überschritten.“

Wolfgang Bosbach, CDU


"Tote Flüchtlinge zum Gegenstand einer Kunstaktion zu machen, ist befremdlich und pietätslos."

Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen


"Wer von Pietätlosigkeit spricht sollte mal an die EU-Außengrenzen fahren."

Justus Lenz, Sprecher ZPS


"Politische Leichenfledderei!"

Vera Lengsfeld, CDU


„Hart an der Grenze, aber auch gerade deshalb direkt an den berührenden Themen dran."

Katja Kipping, Die Linke


"Umstritten ist für diese Kunstaktionen ein positives Attribut. Diskussion zu solchen Aktionen ist erwünscht. Die Gesellschaft sollte froh darüber sein, dass sie noch solche Protestpotentiale in sich birgt, mit denen die Künstler ihre Kunst sichtbar machen können.“

Rupert Neudeck


„Was für ein politisches Possenspiel von ein paar Selbstdarstellern! Eine polemische Aktion ohne Inhalt!“

Toby Newman


„Pervers, unmenschlich, populistisch, arrogant, dreist. […] Realität kennt man in eurem abgehobenen Kreisen wahrlich nicht.“

Sören Schwarzer


„Das Nichtverstehen ökonomischer Zusammenhänge und der daraus resultierende Wahn mit Moral und Liebsein die Welt verändern zu können!“

Wotan Bärwolf


„Es ist verstörend, dass der symbolische Akt Kontroversen hervorruft, das Verrecken lassen hingegen, kaum jemandem seine Feierabendruhe verdrießt. Ich verneige mich vor Euch!“

Astrid Ahlers


„Dort, wo das Herz wäre, hat Deutschland eine Alarmanlage. Danke! Und Respekt!“

Kirsten Kroneberger


„Ich bin äußerst selten in der Situation, dass mir die Worte fehlen - Eure - diese Aktion hat es geschafft […] und doch versuche ich zu tippen – meine tiefbewegte Sprachlosigkeit durch die Wirkung eurer politischen Kunstaktion. Ich bin dem Theater / der Kunst schon ewig verbunden, aber dieses Projekt ist das Stärkste und Mutigste, das ich selbst miterleben darf.“

Marie H.


„Ich habe lange überlegt, was ich von dieser Aktion halten soll, aber am Ende geht es doch nur um die Frage: Was ist perverser, eine Inszenierung, die an die Schmerzgrenzen von Geschmack und Pietät geht, oder der Zynismus der europäischen Flüchtlingspolitik, die das Leid von Abertausenden ignoriert, ihren Tod billigend in Kauf nimmt und totschweigt? Das ZPS hat es geschafft, die Verlogenheit und Doppelmoral unserer gesellschaftlichen Werte aufzuzeigen. Warum wird die Würde der Toten verteidigt und die der Lebenden mit Füßen getreten?“

Stefan Helms


„Jetzt kommen die Opfer der unsichtbaren Mauer, die Europa umgibt, in unserer Gegenwart an – buchstäblich.“

Kurt Maurer


„Diese Aktion bringt Licht ins Dunkel, ans Licht, was andere gerne im Dunkeln ließen.“

Frank Becker

„Die radikalste Deutung der ,Antigone‘ des Sophokles auf, die seit Langem zu sehen war.“

Tagesspiegel


„Ihre bislang spektakulärste Aktion!“

Der Spiegel


„Darf man tote Flüchtlinge überführen und sie hier begraben? JA.“

BILD


"Wir erleben wieder einmal die Spannung zwischen unserem uns überschwemmendem Mitleid und unserem Wissen darüber, dass es darauf nicht ankommt. Alles hängt davon ab, dass wir das Richtige tun. Dass wir diese Bilder nicht ertragen, dass wir uns nicht ertragen, wenn wir sie ertragen, das könnte ein Anfang sein."

Berliner Zeitung


"Die Aktion ist schockierend. Viel schockierender aber ist die Realität an den Außengrenzen Europas."

Vice


„Was passiert eigentlich mit den Toten, den Tausenden von Menschen mittlerweile, die entlang der Grenzen Europas sterben, ertrunken meistens im Mittelmeer, angespült, aufgefischt - und dann? Dann werden sie, die im Leben nie die Würde gefunden haben, die ihnen als Mensch gebührt, auch im Tod misshandelt: Sie werden irgendwo zwischen Olivenbäumen verscharrt, namenlos. Sie werden monatelang in Kühlräumen gelagert. Sie werden vergessen, denn sie stören eine Politik, die schon genug damit zu tun hat, sich die Lebenden vom Leib zu halten.“

Spiegel Online


„Wenn die Politiker und ihre Wähler keine Antwort finden, vielleicht muss das Problem dann abstrahiert und Themen wie Krieg, Flucht und Tod inszeniert werden. Das Zentrum für Politische Schönheit hat dabei eindrucksvoll Regie geführt. Und Bilder geschaffen, die wir hier in Europa brauchen, um endlich zu verstehen, dass wir handeln müssen.“

Der Stern


„Das Prinzip dieser Kunst ist das zynische Spiel mit Realität, wobei der Zynismus nicht von der Berliner Künstlergruppe ausgeht, sondern die Menschenverachtung der Behörden und der politischen Entscheidungsträger sowie der wegsehenden Mehrheit spiegelt.“

taz

„Der Stunt, den diese Aktion bedeutet, die Radikalität, auch gedanklich, der Mut, der Schock, all das findet nicht statt in diesem tiefgefrorenen Milieu.“

Spiegel Online


"Künstler graben auf Sizilien Flüchtlingsleichen aus und fahren sie unter Drogeneinfluss nach Deutschland."

DIE WELT


„Politische Pornographie!“

Sonja Zekri, Süddeutsche Zeitung


„Wer geilt sich denn genau daran auf, dass Menschen sterben, weil die westliche Politik es zulässt? Wer soll hier diskreditiert werden? Wie roh muss man sein, um in diesem Fall eine Verbindung von Tod und Sexualität so drastisch herzustellen?“

Georg Diez, Spiegel Online


„Ganz schön harter Tobak. Ihr Hauptziel erreicht das Zentrum für Politische Schönheit wohl schon vor der ersten Beerdigung: eine Diskussion über die Toten an den EU-Außengrenzen.“

Bayrischer Rundfunk


„Die Diskussion ist einzig von der Frage geprägt, ob das ZPS eine Kunst betreibe, die Grenzen überschreite oder nicht, vor allem die Grenze zwischen Theater und Realität selbst – als wären die Grenzen von Begriffen entscheidender als die Grenzen Europas selbst.“

nachtkritik


„Tabubruch und Grenzüberschreitung sind die Markenzeichen des ZPS, das sich in die große Lücke schiebt, die Künstler wie Joseph Beuys und Christoph Schlingensief hinterlassen haben. Beide waren Pioniere der medialen Mobilmachung im Namen der Kunst. Das kapitalistische Gefälle zwischen Körpern erster und zweiter Klasse demonstrierte bislang niemand radikaler und zynischer als der spanische Konzeptkünstler Santiago Sierra, der zum Beispiel Kubaner dafür bezahlte, sich eine Linie auf den Rücken tätowieren zu lassen. In diesem Zusammenhang muss man die Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit betrachten: Es geht, unter anderem, um Kunst.“

Der Stern

Der Marsch der Entschlossenen markiert den künstlerischen Quantensprung des Zentrums für politische Schönheit: Plötzlich fiel der Zaun. Fiel sanft wie in Zeitlupe. Und fünftausend Menschen drehten sich fast gleichzeitig in einer weichen Bewegung und nahmen die unerwartet entgrenzte Reichstagswiese in Besitz. Das angekündigte Mahnmal nahm eine neue Form an, die Statisten hatten sich in Akteure verwandelt, aber sie blieben im Script, indem sie das Mahnmal nun selber realisierten. Aus Unentschlossenen wurden Entschlossene. Möglich wurde der magische Moment der Selbstermächtigung durch die gezielten und durchdachten Mitspielangebote des ZPS bis hin vor die Tore des Kanzleramtes, den entscheidenden Impuls des Tages überließen die Macher dann aber klugerweise den Teilnehmenden selbst. Mit der Präzision eines Opernchores schritten die Fünftausend zur Tat und schufen ein ephemeres Kunstwerk auf dem Rasen, verewigt in tausenden Bildern im Netz. Der Zaun, den man in Bulgarien nicht durchschneiden konnte, er fiel in Berlin. Die Gräber konfrontierten nicht mehr das Kanzleramt, sondern – viel stimmiger – den Bundestag als den Ort, an dem eine neue Flüchtlingspolitik erdacht und entschieden werden muss.“

Christian Römer, Heinrich Böll Stiftung

Das Zentrum für Politische Schönheit bringt uns, da die Lebenden es nicht geschafft haben, die Toten ins Land. Wir werden mit den Folgen dessen, was wir tun oder lassen konfrontiert. Das ist das eine. Das andere ist: Die Aktion verwandelt Leichenberge in zu Tode gebrachte Einzelne. Sie verwandelt Flüchtlinge in Menschen. Die Aktion bestärkt uns in dem Gefühl, dass wir dabei sind, schlimmste Fehler zu begehen. Wir fragten nicht nach den Toten und was mit ihnen geschah. Das tun jetzt die Künstler. Im Jahre 442 v. u. Z. wurde in Athen ein Theaterstück aufgeführt. Dessen Heldin war eine junge Frau, die sich dem Befehl des Herrschers, dem Gesetz könnte man sagen, widersetzte. Er hatte angeordnet, Polynikes dürfe nicht beerdigt werden. Es gibt darin einen Dialog zweier Frauen. Die eine sagt, sie teile zwar das Entsetzen angesichts der Anordnung des Herrschers, aber sie könne sich nicht zur Rebellion dagegen entschließen. Antigone antwortet ihr: „Ich aber gehe, ein Grab dem liebsten Bruder aufzuwerfen“. Sie tut Unrecht, um das Rechte zu tun. Unsere Hoffnung ist, dass wir auf die Toten hören, da wir ihre Schreie, als sie noch lebten, überhörten.

Berliner Zeitung

„Betrachten wir Die Toten kommen noch mal mit etwas Abstand, ergibt sich ein recht ausgeklügeltes Bild, das Walter Benjamin helle Freude gemacht hätte: Mit einem Akt von Schönheit, dem Begräbnis, wird Öffentlichkeit generiert, die genutzt wird, zu einem Marsch der Entschlossenen aufzurufen. Dessen einziger Zweck besteht darin, eine neue, viel stärkere Symbolik zu schaffen: das deutschlandweite, dezentrale, unorganisierte Ausheben symbolischer Gräber. Deutlicher kann man die Kritik des Sich-selbst-Abfeierns nicht ins Leere laufen lassen. So zentral das ZPS zuvor für die ganze Aktion war, so bedeutungslos ist es jetzt für deren Fortlauf. Einige Tage oder Wochen lang werden überall weitere Gräber entstehen – vielleicht sogar in der Steppe Vorpommerns. Und weil der Tod heilig ist, werden diese Gräber zum Nachdenken anregen – selbst den Opa in Vorpommern. Wenn er auf dem örtlichen Marktplatz vor einem Grab aus seinem Eierkauf-Alltag gerissen wird, wird auch er wissen: Da sterben Menschen. Und es gibt jemanden, der um sie trauert. Was das Zentrum für Politische Schönheit geschaffen hat, ist ein Kunstwerk Benjamin’schen Typs: losgelöst vom Künstler, die Reproduzierbarkeit inhärent in sich tragend, politisierte Kunst.

The European

„Die Reichstagswiese wurde zum Friedhof. Und wir wieder einmal davon Zeuge, dass es vielen eben doch nicht egal ist, was da vor den Grenzen der Europäischen Union passiert.“

Der Stern


91 Festnahmen, zwölf verletzte Polizisten und mehr als 100 Löcher in der Reichstagswiese – das ist die Bilanz der Flüchtlings-Demo “Die Toten kommen” im Regierungsviertel.

B.Z.


„Ein wunderschöner Akt des zivilen Ungehorsams! Es hat in Deutschland ja schon eine gewissen Tradition, dass selbst bei Revolutionen "das Betreten des Rasens verboten" bleibt.“

Humanistischer Pressedienst


“Die Demo-Veranstalter sollten dazu aufrufen, den Rasen gemeinsam wieder in Ordnung zu bringen.”

Frank Steffel, CDU


„In einer internen Mail, die BILD vorliegt, heißt es: ‚Kassenstand Grünunterhaltung von heute: 60 000 Euro für den Rest des Jahres – für 850 Hektar Grünflächen‘. Der gefrustete Schreiber: ‚This is the end ... wir sind pleite!‘“

BILD

„Ich kann mich nicht erinnern, dass wir so etwas schon mal bei einer Demonstration hatten. Ein Aufzug mit Toten wäre mal was ganz Neues für uns!“

Pressesprecher der Berliner Polizei


„Die Polizei ist alarmiert und hat ein Lagezentrum eingerichtet. Man geht davon aus, dass sich nicht zu wenige Menschen an der Aktion am Sonntag beteiligen werden.“

Kurier


„Nun hat die Polizei die Aktion verboten - jedenfalls weitgehend.“

Tagesschau (ARD)


„So drastisch die Darstellung auch sein mag: Zu keinem Zeitpunkt der Aktion hat sie den Inhalt verdeckt. Weder auf dem Begräbnis, auf dem auch in der Rede des Imams das Thema Inhalt war, noch auf dem Marsch der Entschlossenen. Das Neue, was die Kritiker zu stören scheint, ist die Symbolik. Ihnen ist alles zu symbolisch. Dabei besteht genau darin das Verdienst (und der Selbstanspruch) des Zentrums: Es schafft eine Symbolik, die es überhaupt erst vermag, für ein politisches Problem empfänglich zu machen.

Sie verschließen die Augen vor der Tatsache, dass die Toten für sie auf den Friedhöfen liegen. Nicht für die Toten. Damit die Lebenden trauern können, damit die Lebenden sich erinnern können, damit die Lebenden mahnen können, liegen die Toten da. Insofern ist ein Grab, das hier zum Symbol wird, nicht einfach eine Ruhestätte – es ist immer ein Symbol, das von jeher instrumentalisiert wurde, ob im Privaten oder im Öffentlichen. Woher also kommt die Empörung, wenn ein Grab dazu instrumentalisiert wird, die deutsche und die europäische Abschottungspolitik anzumahnen? Weil die Instrumentalisierung sichtbar wird?“

The European

„Ist es die Aufgabe der Kunst, Lösungen zu präsentieren oder nicht viel eher, Fragen aufzuwerfen und bisher nicht Gedachtes denkbar zu machen? Es geht um die Suche nach dem Möglichen, das zu schön scheint, um wahr werden zu können. Ein Beispiel dafür wäre ein Friedhof vor dem Reichstag, der toten Flüchtlingen gemahnt. Ein anderes eine Gesellschaft, die nicht nur die Menschenwürde der eigenen Bürger achtet, sondern aller. [...] Die Aufgabe von Kunst ist es nicht, den Weg dorthin vorzugeben, denn das wäre Politik. Und auch, wenn das ZPS politisierte Kunst macht, so bleibt es Kunst. Und die denkt ein Ziel, keinen Weg.“

The European



„Sie haben Tote im griechischen Hinterland ausgegraben und Leichen aus italienischen Kühlkammern gezerrt, um sie dann vor dem Kanzleramt und an anderen Orten in Berlin würdevoll beizusetzen. [...] Wir können uns entspannt zurück lehnen und das Theaterstück bis zum Ende ansehen, bevor wir uns empören oder Beifall klatschen.“

Berliner Zeitung


„Vielleicht braucht die Routine, die Gewöhnung an die Bilder vom Sterben an den EU-Außengrenzen genau solche Schockmomente.“

Süddeutsche Zeitung


„Es geht darum, die Gewissensrituale der Gesellschaft zu durchbrechen, den Panzer der politischen Rhetorik zu zerbrechen, den vorgefertigten Bildern der Nachrichtensendungen andere Bilder entgegenzusetzen. Es geht darum, eine verbrecherische Politik haftbar zu machen und die Frage der Schuld zu stellen.“

Süddeutsche Zeitung


„Hier, am westlichen Ende der Stadt, findet keine gewöhnliche Beerdigung statt, sondern eine hochpolitische.“

Der Freitag


"Braucht es nicht solche Aktionen, die in gewisser Weise sogar in Leerstellen des Journalismus stoßen und Arbeit machen, für die andere zu faul oder zu feige sind?"

Spiegel Online

„Hamlet. Fünfter Akt, erste Szene, Dialog der Totengräber, ob einem Selbstmörder ein Begräbnis in geweihter Erde gegönnt sein soll. Hier steht das Wasser, dort steht der Mensch. ,Aber wenn das Wasser zu ihm kommt und ihn ertränkt, so ertränkt er sich nicht selbst.‘ Was anderes als ein Suizidversuch ist es für tausende Flüchtlinge, Europas Grenzanlagen entern zu wollen?“

Tagesspiegel


„Anstatt sich mit der Situation vor Ort zu beschäftigen, wird die Frage nach der Echtheit einer Inszenierung genutzt, um sich nicht mit den echten Effekten von Politik zu beschäftigen. Alle Aktivisten wissen mehr über die Situation auf Sizilien als die Journalisten an diesem Tag auf dem Berliner Friedhof. Nicht einmal kann ein Journalist die Inszenierung durch besseres Wissen aushebeln.“

taz


„Die Wahl der Mittel macht hier den Unterschied: Eine Menschenrechts-organisation müsste Dokumente vorweisen, um ihrem Anliegen Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Eine Gruppe von Performern bewegt sich im Bereich des Imaginären. Sie spielt mit Darstellungsformen, Wirklichkeitskonstruktionen und Überhöhung. Und lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.“

Der Stern


„Es gibt Millionen Flüchtlinge. Ein paar davon sehen wir. Das sind die, die bis nach Europa oder gar bis nach Deutschland gelangen. Die anderen sehen wir nicht. Sie sterben schon – zum Beispiel – im Innern Afrikas an Unterernährung, an der Hitze, am Durst oder auch am Raubtiercharakter mancher ihrer Mit-Flüchtlinge. Ab und zu sehen wir Menschen, die aus dem Mittelmeer aufgefischt werden. Die, die in der Nacht mit ihren Booten untergehen, sehen wir nicht. Aber das, was wir sehen, ist mehr als wir ertragen können. Menschen, die ihr Leben riskieren, um eines mitten unter uns führen zu können. Wir brauchten nur die Arme ausbreiten und sie willkommen heißen. Stattdessen hat die Europäische Union das Mare Nostrum-Programm, das dazu diente, Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten, eingestellt.“

Berliner Zeitung

Die Bundestagswiese, ein improvisierter Friedhof für die unbekannten Einwanderer. Inzwischen gibt es Tausende Grabanlagen in allen Städten Europas.